Die Konjunktur und der Anleger

24. Oktober 2019

Experten-Ausblick

Konjunkturprognosen sind ein undankbares Geschäft. Die Trefferquote ist gering, die Erklärung dafür einfach: Niemand kann in die Zukunft sehen. Weder Ökonomen noch Portfolio Manager oder Privatanleger. Das ist vielleicht auch gar nicht so schlimm. Selbst wenn man mit seiner Einschätzung einigermaßen richtig liegt, bedeutet dies noch lange nicht, dass sich daraus immer erfolgreiche Anlageentscheidungen ableiten lassen. Dr. Bert Flossbach, Gründer und Vorstand der Flossbach von Storch AG, gibt einen aktuellen Ausblick auf die Märkte.

Das ändert aber nichts daran, dass Konjunkturprognosen bei vielen Investoren heiß begehrt sind. Die Einschätzungen renommierter Experten erzielen eine große Aufmerksamkeit und bilden eine weithin respektierte Planungsgrundlage für Anlageentscheidungen. Die bekannten Wirtschaftsforschungsinstitute, die Notenbanken, der Internationale Währungsfonds und natürlich die Chefökonomen der Banken unterliegen dabei einem Meinungs- und Erklärungsimperativ. Konjunkturprognosen sind ihr Geschäft – auch wenn sie, wie im laufenden Jahr, ständig revidiert werden müssen.

Die Gründe dafür werden schnell nachgeliefert. Handelskonflikte, der Brexit, sogenannte geopolitische Konflikte oder regionale Spannungen wie derzeit in Hongkong und immer wieder mal Turbulenzen in der Eurozone. Haben wir etwas vergessen? Zukünftig dürften wohl auch die Auswirkungen der Klimapolitik in die Konjunkturprognosen (und die folgenden Revisionen) einfließen.

Für uns hat das nur wenig Bedeutung. Denn die Erfahrung zeigt: Trotz ihrer Popularität bringen die populären Indikatoren langfristigen Anlegern wenig. Vielleicht haben sie dann und wann das Potenzial, die Entwicklung an den Kapitalmärkten mal einige Tage oder Stunden zu beeinflussen. Für Anlageentscheidungen, die für mehrere Jahre getroffen werden, brauchen wir sie nicht. Die Konjunkturindikatoren spiegeln in der Regel nur die aktuelle Lage wider, ohne valide Schlüsse auf die langfristige Marktentwicklung zu ermöglichen. Sie sind eine Geräuschkulisse im lauten Börsentreiben, senden aber keine fundamentalen Signale. Ironischerweise ist der Aktienmarkt sogar oft ein besserer Indikator für die Wirtschaftsentwicklung als die Konjunkturindikatoren. Das ist auch kaum verwunderlich, da er der Konjunktur zumeist ein gutes Stück vorauseilt. Aber auch hier sollten Zahlendeuter vorsichtig sein – denn nicht jeder Schwächeanfall des Aktienmarkts ist auch ein Frühindikator für eine Rezession…

Das alles bedeutet natürlich nicht, dass die Entwicklung der Weltwirtschaft keinerlei Relevanz für Anleger hätte. Viel wichtiger als kurzfristige Konjunkturindikatoren und darauf basierende Prognosen ist das langfristige Wachstumspotenzial der Wirtschaft. Das kann Hinweise auf Umsatz- und Gewinnpotenzial von Unternehmen geben. Hier lohnt es sich, einmal genauer hinzusehen.

Der Aufschwung in den USA hat im September mit einer Dauer von 123 Monaten bereits einen Rekord erreicht. Allerdings stieg das Bruttoinlandsprodukt insgesamt nur um 26 Prozent (real), womit er nur der fünftstärkste Aufschwung seit 1945 ist. Gemessen am jährlichen Realwachstum ist er mit nur 2,3 Prozent sogar der schwächste (vgl. Grafik).

Wer nur die Jahre zählt, und daraus folgert, dass „nach so langer Zeit doch mal wieder ein Abschwung kommen muss“, liegt vielleicht falsch. Denn Aufschwünge sterben nicht an Altersschwäche. Eine Überhitzung der Konjunktur kann eine Rezession auslösen. Oder eine Inflation in Folge des Booms, die Zinserhöhungen der Notenbanken auslöst. In seltenen Fällen gibt es auch singuläre Ursachen, wie etwa die Ölkrise in den siebziger Jahren. Keiner dieser Faktoren ist derzeit gegeben.

Auffällig ist, dass die jährlichen Wachstumsraten in den USA im Laufe der vergangenen 70 Jahre ständig abgenommen haben. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Nach dem Krieg gab es auf der ganzen Welt einen Wachstumsboom, später verhalf die Globalisierung zu starken Wachstumsschüben, doch seit der Finanzkrise ist die Dynamik deutlich schwächer geworden. Auffällig ist auch: Das Wachstum der Weltwirtschaft ist vor allem durch den enormen Beitrag Chinas, der auch andere Volkswirtschaften beflügelt hat, vergleichsweise stabil geblieben. Sollte sich der Handelskonflikt nachhaltig verschärfen, würde die globale Wachstumsdynamik leiden. Hiervon betroffen wären vor allem Volkswirtschaften aus Asien und Europa, für die China ein wichtiger Absatzmarkt ist.

Nehmen wir mal an, dass das Wirtschaftswachstum mittelfristig etwas abkühlt und die Inflation, wie in den vergangenen Jahren des Aufschwungs, vergleichsweise niedrig bleibt. Dann ergäben sich für die drei großen Wirtschaftsräume folgende Wachstumsraten (die natürlich nicht als Prognose, sondern als Arbeitshypothese zu verstehen sind):

  • 2,5 Prozent für die Eurozone (real ein Prozent),
  • drei Prozent für die USA (real 1,5 Prozent) und
  • sieben Prozent für China (real fünf Prozent).

In diesem Szenario würde China bis 2024 mit 5,8 Billionen US-Dollar einen um 500 Milliarden Dollar größeren Beitrag zum globalen Wachstum liefern als die USA und die Eurozone zusammen.

Für alle drei Wirtschaftsräume zusammen ergibt sich, in US-Dollar gerechnet, eine nominale Wachstumserwartung von fünf Prozent. Das wäre wohl auch eine grobe Richtschnur für das Umsatzwachstum global agierender Konzerne. Da viele global agierende Unternehmen aber ihre Absatzschwerpunkte in Ländern mit niedrigerem Wachstum haben (vor allem in Europa und Japan) ist die Fünfprozentmarke unseres Erachtens wohl eher ambitioniert. Eine Fortsetzung des Handelskonflikts könnte weiteres Wachstum kosten, denn schon jetzt ist absehbar, dass die damit verbundenen Unsicherheiten die Investitionsbereitschaft vieler Unternehmen senken.

Was bedeutet das für Anleger? Die Einschätzung des langfristigen Wachstumspotenzials der Weltwirtschaft hat – auch wenn sie zugegebenermaßen grob ist – Bedeutung für unsere Analyse, Bewertung und Auswahl von Unternehmen. In diesem Umfeld präferieren wir als langfristiger Anleger Qualitätsaktien. Titel von Unternehmen mit soliden Bilanzen, robusten Geschäftsmodellen und einen Schutzwall gegen die Konkurrenz. Nach eingehender Analyse der Stärken und Schwächen eines Unternehmens entwickeln wir anhand von drei Szenarien möglichst plausible Erwartungen für Umsatz, Gewinn und freien Cashflow in fünf Jahren. Für jedes Szenario wird eine realistische Bewertungsannahme getroffen, die auf dem risikofreien Weltzins von aktuell 0,5 Prozent (Mittelwert der Rendite von US-Treasuries und Bundesanleihen) und einer angemessenen Risikoprämie basiert. Aufgrund des sehr niedrigen Zinsniveaus und der latenten Risiken für die Weltwirtschaft verlangen wir eine vergleichsweise hohe Risikoprämie, die natürlich von Unternehmen zu Unternehmen variiert.

Das Ergebnis dieser Rechnung ist eindeutig. Auf Sicht von fünf bis zehn Jahren dürften Aktien von Unternehmen überdurchschnittlicher Qualität mit vergleichsweise sicheren und wachsenden Cashflows unseres Erachtens einen deutlich höheren Gesamtertrag (Kursentwicklung und Dividende) erreichen als alle anderen liquiden Anlageformen. So unspektakulär diese Aussage angesichts der extrem niedrigen Renditen von Anleihen und Cash klingen mag, so wenig haben viele Anleger sie bisher verinnerlicht. Sie setzen weiterhin auf nominale Zinsanlagen, die wohl noch sehr lange für reale Vermögensverluste sorgen dürften.

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Bild: Dr. Bert Flossbach, Gründer und Vorstand der Flossbach von Storch AG